Bevor es losgeht, sollen sie sich alle einmal nebeneinanderstellen. Die sieben Spitzenkandidaten der Parteien treten vor die Pulte, die der RBB in einer Halle in Potsdam aufgebaut hat.

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Für die letzte große Diskussion in diesem Brandenburger Wahlkampf, die entscheidende Schlacht, die in wenigen Minuten live im Fernsehen übertragen wird. "Näher zusammen!", ruft jemand.

Dann stehen sie da. Sieben Männer, von denen sieben ein dunkelblaues oder schwarzes Jackett tragen, fünf eine Brille, zwei eine Glatze. Sechs sind in Brandenburg geboren, einer ist aus dem Westen nach Potsdam gezogen. Der jüngste ist 34, der älteste 68. Sie verschwimmen zu einem Bild, bis man sie kaum noch auseinanderhalten kann. Die Luft ist feucht und warm, weil der RBB sich entschieden hat, aus der Biosphäre in Potsdam zu senden. Die Brandenburger Kandidaten stehen in einer Art Tropenhaus.

Es ist ein Bild, das zu Brandenburg passt. Zum Männerüberschuss im Land, aber auch zur Politiklandschaft, die wie überall im Osten unübersichtlicher und vielfältiger geworden ist, in der neue Parteien die Plätze der alten einnehmen. Die FDP hat versucht, ihren Spitzenkandidaten – einen Brandenburger Mann mit Brille – in die Sendung einzuklagen. Ohne Erfolg. Die Grünen hätten wie überall in Deutschland eine Doppelspitze, versichert der Pressesprecher, der im Studio ist. Aber den Termin heute übernehme planmäßig der Mann. Und abgesehen von Peter Vidá, der für die Freien Wähler antritt und in Ungarn aufgewachsen ist, sind die einzigen Migranten weit und breit die Sonnensittiche und Weißbüscheläffchen der Biosphäre.

Die letzte Woche des Brandenburger Wahlkampfs hat begonnen. Es war ein Wahlkampf im Schatten der Aufregung über die "Ost-Wahlen" in Sachsen und Thüringen. Doch die hat sich gelegt. Niemand außerhalb des Bundeslands kennt die Kandidaten hier. Und auch in Brandenburg kennen viele Leute sie kaum. Abgesehen von Dietmar Woidke, der seit elf Jahren für die SPD regiert, der erst der dritte Ministerpräsident seit der Wende ist. Auch seine Vorgänger, Manfred Stolpe und Matthias Platzeck, waren in der SPD.

Die AfD oder ich: Das ist die Wahlkampfparole des Ministerpräsidenten Dietmar Woidke, hier am ...
Die AfD oder ich: Das ist die Wahlkampfparole des Ministerpräsidenten Dietmar Woidke, hier am Mittwoch in Pausin im Havelland. © Markus Wächter/Berliner Zeitung

Doch die Wahl in Brandenburg kann Deutschland verändern – wenn Woidke, der sich Unterstützung von Olaf Scholz im Wahlkampf verbeten hat, nicht gewinnt. Und statt seiner die AfD. Es wäre ein weiteres Signal an die Ampelregierung, dass ihre Zeit um ist. Und in Brandenburg wäre vollkommen unklar, wer der nächste Ministerpräsident wird.

Fünf Tage vor der Wahl ist noch alles offen. Die Männer treten im Tropenhaus hinter ihre Pulte. Der kleinste, älteste und vermutlich wichtigste von ihnen steht in der Mitte. Hans-Christoph Berndt von der AfD, der seit Monaten in den Umfragen führt, legt seine Arme auf das Pult wie ein Schuldirektor. Er war lange Personalrat an der Charité in Berlin. Direkt neben ihm steht Dietmar Woidke, der mit 1,96 Metern wie ein Riese wirkt. Vor fünf Jahren konnte Woidke die AfD vor der Wahl noch einholen. Jetzt sieht er mit den hängenden Mundwinkeln, seinem schwarzen Anzug und der dunklen Krawatte aus, als warte er auf seinen Einsatz als Trauerredner.

Als er ins Studio gekommen ist, hat er fünf seiner Konkurrenten mit Handschlag begrüßt. Um den AfD-Mann Berndt hat er einen Bogen gemacht wie um einen Krater im Boden. Woidke hat im Wahlkampf wieder alles auf eine Karte gesetzt. Auf Woidke. Als Bollwerk gegen die AfD. Wenn er nicht Erster werde, mache er als Ministerpräsident Schluss, sagt er seit Wochen. Doch anders als vor fünf Jahren zieht er in den Umfragen nicht am Konkurrenten vorbei.

Die RBB-Sendung dauert fast zwei Stunden, beginnt mit dem Hochwasser, das sich Brandenburg nähert, streift die Lage von Bauern, denen Konzerne das Land wegkaufen, Wölfe und Windräder, Rechtsradikale an Schulen, den Ärzte- und Lehrermangel. Das Brandenburg-Panorama. Drei Themen werden länger besprochen: die Migration, die 40 Prozent der Brandenburger für das größte Problem im Land halten, die Lage rund um die Fabrik von Tesla und das Ende der Braunkohle in der Lausitz.

Der Moderator, der achte Mann auf der Bühne, verhakt sich in Auseinandersetzungen mit Berndt. Offenbar hat er sich vorgenommen, den AfD-Mann hart ranzunehmen. Was der zum Verfassungsschutzbericht sage, der ihn rechtsextrem nenne? Wo in Brandenburg er bitte ein Atomkraftwerk bauen wolle?

Berndt hat sich gegen die Energiewende und für Atomstrom ausgesprochen. Der Moderator fragt ihn drei-, viermal. Berndt weicht aus, wirft dem Moderator vor, ihn unfair zu behandeln. Die anderen Kandidaten lässt der Moderator reden, ohne groß nachzuhaken. Das würde auch bei Berndt reichen, der seine Ansichten keineswegs versteckt, sondern "einheimische Schüler" vorziehen und Politik "für das eigene Volk" machen will.

Als es um Tesla geht, bekommt sich ein Gast im Publikum nicht ein. Beim Thema Lausitz legen sich der Mann von der CDU und der von den Grünen mit Robert Crumbach vom BSW an, dem Westdeutschen, der Arbeitsrichter in Potsdam ist und 40 Jahre in der SPD war. Er habe ja keine Ahnung!

Zwischendurch eilen Frauen zu den Kandidaten, um sie neu zu pudern – die tropische Luft. Es gibt auch eine Moderatorin. Sie hat das Publikum vor der Sendung Lose ziehen lassen, um die Reihenfolge der Schluss-Statements festzulegen. Berndt von der AfD hat gewonnen. Er darf als Letzter reden. Vor ihm erklärt der Mann von der Linken, dass nicht wichtig sei, wer stärkste Kraft in Brandenburg werde, sondern dass seine Partei es in den Landtag schaffe; der Mann vom BSW, dass man "für Frieden" stimmen solle; der von der CDU, dass seine Partei an einer Regierung beteiligt sein könne. Woidke sagt, dass nur er "braune Flecken" auf der Fahne Brandenburgs verhindern könne.

Sahra Wagenknecht in Potsdam: Die Stars im Wahlkampf treten in Brandenburg gar nicht an.
Sahra Wagenknecht in Potsdam: Die Stars im Wahlkampf treten in Brandenburg gar nicht an. © Benjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung

Der AfD-Mann sagt nicht, dass er Ministerpräsident werden wolle. Es ist vollkommen klar, dass er das nicht wird, weil keine Partei mit der AfD koalieren wird. Grüne, Linke und Freie Wähler kommen vielleicht nicht einmal in den Landtag. Hans-Christoph Berndt geht es um etwas anderes. Er sagt: "Wir haben die Möglichkeit, die Ampelkoalition vorzeitig zu beenden."

Fast genau zur gleichen Zeit hält 70 Kilometer östlich von Potsdam eine Feuerwehr vor einem alten Gasthof, der keiner mehr ist. Hinten steht "Brandmauerlöschwagen", von einem großen Bild auf der Seite lacht ein Mann mit Brille und Schnauzbart. Er heißt Benjamin Filter und ist der AfD-Direktkandidat im Wahlkreis 27, zu dem Storkow, Königs Wusterhausen und Markgrafpieske gehören. Die Partei lädt hier heute zum Bürgerdialog.

Markgrafpieske hat rund 700 Einwohner, acht Friedhöfe, eine Kirche und eine Kita, die Kinder sucht. In der Nähe befindet sich der Mühlenberg, wo zu DDR-Zeiten die Mittelstreckenrakete RSD-10 stationiert war. Das würde gut zur Agenda der AfD passen, die im ehemaligen Gasthof mit dem Spruch "Zeit für Frieden" wirbt, doch der Direktkandidat hat von der Rakete noch nichts gehört. Er weiß nur, "dass damals ja hier überall Armee war".

Benjamin Filter ist in Berlin-Köpenick aufgewachsen und wohnt in Schwerin bei Groß Köris. Sein Spitzname ist "Ben". Alle hier nennen ihn so, alle duzen ihn, auch Leute, die ihm noch nie persönlich begegnet sind. Sie kennen "den Ben" aus den sozialen Medien. Auch die anderen, die auf der Bühne Platz nehmen, kennen sie von X oder TikTok. Ein AfD-Bundestagsabgeordneter, ein AfD-Kommunalpolitiker aus Storkow und der AfD-Fraktionsvorsitzende aus Sachsen-Anhalt.

Wieder alles Männer. Aber hier sitzen sie auch im Publikum. Junge Männer vor allem, mit ausrasierten Nacken, Sneakers, Tätowierungen, engen Shirts. Auf einem steht "Deutschland", auf einem anderen: "Das Volk steht an erster Stelle". Ein paar haben ihre Freundinnen mitgebracht. Als Abendbegleitung.

Der Männerüberschuss im Land ist nicht neu. Nach der Wende gingen drei Millionen Menschen aus dem Osten, die meisten davon Frauen, in den Westen oder nach Berlin, wo es mehr Jobs und bessere Ausbildungsmöglichkeiten gab. Bis heute ist das zu spüren. In Brandenburg leben derzeit rund 130.000 junge Männer, aber nur 113.000 junge Frauen.

Die einzigen beiden Frauen, die für die AfD in Markgrafpieske im Einsatz sind, stehen am Eingang des Saales. Sie sind um die 50, groß und schlank, mit langen blonden Haaren, weißen Hosen und blauen Jacken. Eine Art AfD-Hostessen-Uniform.

"Herzlich willkommen", sagen die Frauen, führen die Besucher zu ihren Plätzen, drücken ihnen Wahlwerbung in die Hand, auf der ein 20-Euro-Schein zu sehen ist und die Losung: "Wir schaffen den GEZ-Beitrag ab". Das freut die Männer. Einer sagt, früher habe er ja gerne für den ÖRR bezahlt, "weil ich die Privaten so schrecklich fand". Aber das sei lange vorbei. Die Frauen haben auch Stifte und Zettel für die Besucher. Für Fragen, die später gestellt werden können. Benjamin Filter, der Direktkandidat, hat die Erfahrung gemacht, dass die sonst eher schweigsamen Brandenburger zu lange reden, wenn man ihnen ein Mikrofon in die Hand drückt. Manchmal erzählten sie ihr halbes Leben.

Der Saal ist voll. Der Mann, der für die AfD den Wahlkampf leitet, war schon bei den Linken und sogar kurz beim BSW, bevor er in die AfD eingetreten ist, "weil man hier wirklich was bewegen kann", erzählt er. Ein 24-jähriger Busfahrer berichtet, er sei von Asylbewerbern angegriffen worden, als er sie aufgefordert habe, Fahrkarten zu kaufen. Bei der letzten Wahl hat er noch das Bündnis für Bürger gewählt, sagt er, nun die AfD. "Wie alle meine Freunde, alle meine Bekannten, alle aus meiner Familie."

Auf der Bühne versucht es Benjamin Filter zunächst kommunalpolitisch. Er wolle Dinge, die in der DDR gut funktioniert haben, wieder einführen, sagt er. Polikliniken und Gemeindeschwestern zum Beispiel. Verhaltener Applaus. Filter wechselt zur großen Politik, zu den Deutschen im Ausland, die zurückgeholt werden sollen. Beim Wort "Remigration" fällt die kleine Deutschlandfahne, die vor ihm steht, vom Tisch. Der AfD-Kollege aus Sachsen-Anhalt kriecht unter den Stuhl. Und erzählt dann stolz, dass er bei besagtem Treffen in Potsdam dabei war.

Land der Männer: Benjamin Filter, AfD-Direktkandidat im Wahlkreis 27, vor Anhängern.
Land der Männer: Benjamin Filter, AfD-Direktkandidat im Wahlkreis 27, vor Anhängern. © Benjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung

Er heißt Ulrich Siegmund, hat 400.000 Follower auf TikTok, ist der Star des Abends und sehr redegewandt. Seine Sätze über das Kalifat, das den Deutschen drohe, das BSW, in dem die Altlinken seien, über Woidke, der AfD-Inhalte klaue, sprudeln aus ihm heraus. Seine Partei wolle in der Opposition bleiben, bis die absolute Mehrheit erreicht sei, sagt er. Man weiß nicht, ob er es aus Trotz sagt, wegen der Brandmauer. Aber es klingt ziemlich überzeugend: "Ich weiß nicht, ob es diesmal schon klappt, aber der Weg ist nicht mehr weit." Die Männer im Publikum klatschen, Frauen malen Herzen auf Zettel.

Im Osten sei die CDU die Hoffnung gegen die AfD, hieß es im Sommer. In Sachsen hat vor drei Wochen Michael Kretschmer knapp den Wahlsieg der AfD verhindert. In Brandenburg wäre es schon ein Erfolg für die CDU, wenn sie wieder Dritter wird, wie vor fünf Jahren. Das BSW ist ihr auf den Fersen.

Jan Redmann, der CDU-Spitzenkandidat, dürfte als Unglücksvogel des Wahlkampfs in Erinnerung bleiben. Für ihn begann die heiße Phase im Juli damit, dass er mit 1,3 Promille in Potsdam auf einem Elektroroller erwischt wurde. Sie endete damit, dass ihm Michael Kretschmer in den Rücken fiel, indem er von Woidke als Ministerpräsidenten schwärmte.

Drei Tage nach der Wortmeldung von Kretschmer steht Redmann tapfer im Spargelhof Kremmen vor einer Holzwand, an die ein halber Trabi montiert ist. Der Trabi ist himmelblau und passt zur CDU-Fahne in türkis, die hinter Redmann aufgespannt ist. Ein Tisch im Restaurant ist weiß gedeckt, dort sitzen Carsten Linnemann, der Generalsekretär der CDU im Bund, der Botschafter von Ungarn und lokale CDU-Größen. An den anderen Tischen sitzen weitere Parteimitglieder und Gäste, die jeweils zwanzig Euro für das Grillbüfett bezahlt haben, das es gleich geben soll. Auch hier: ganz überwiegend Männer. Einige Plätze bleiben leer.

Redmann redet von der Küchenbank, mit der er durch Brandenburg getourt sei, lobt die Landesregierung, der die CDU angehört, kritisiert sie, und endet mit seiner "großen Sorge" vor einem AfD-Wahlsieg. Im Jahr 2029. Auch Carsten Linnemann scheint mit der diesjährigen Brandenburgwahl bereits abgeschlossen zu haben, sieben Tage, bevor sie stattfindet. Er redet über die Bundestagswahl 2025, über die erste oder zweite Kabinettssitzung danach, erwähnt Ronald Reagan und die Wichtigkeit von Vermögensbildung im Osten. "Das sind einfach mal Gedanken, die ich frei assoziiert habe", sagt er.

Der Kandidat, den kaum einer kennt: Robert Crumbach war 40 Jahre in der SPD und könnte am ...
Der Kandidat, den kaum einer kennt: Robert Crumbach war 40 Jahre in der SPD und könnte am Sonntag das BSW auf Platz vier führen. © Frank Hammerschmidt/dpa

Es scheint niemanden zu stören. Interessieren sich die Brandenburger selbst eigentlich für die Brandenburg-Wahl? Man spürt keine Aufregung im Land, keine Anspannung wie in Thüringen und Sachsen. Es gibt keine Politiker, die die ganze Republik aufregen, keinen Höcke, keinen Ramelow, keinen Kretschmer, keine Aufsteigerin wie Katja Wolf vom BSW in Thüringen. Der BSW-Kandidat in Brandenburg hat nicht mal einen Wikipedia-Eintrag.

Redmann ist immerhin der mit der Alkoholfahrt. Als sich Linnemann von der Bühne ein alkoholfreies Hefeweizen bestellt, sagt Redmann, er nehme auch eines. "Auch wenn ich heute nicht mit dem Roller da bin." Ein paar Leute lachen. Dann gibt es endlich Steaks und Bratwürste.

Auch Gregor Gysi muss erstmal eine Bratwurst essen, als er drei Tage vor der Wahl in Oranienburg aus seinem Dienstwagen steigt. Über dem DDR-Neubaugebiet, wo die Linke mit dem 76-Jährigen werben will, weil die Parteichefs zurückgetreten sind und ohnehin nur Gysi zieht, hängen Schäfchenwolken. Es gibt vegane und "richtige" Wurst. Gysi nimmt die richtige und stellt sich schon mal an die Bühne, wo zwei Männer mit Gitarren den Besuchern die Zeit vertreiben, bis Gysi aufgegessen hat.

Er ist an diesem Tag schon durchs halbe Land gereist. Morgens war er in Hamburg, mittags im Bundestag, später geht es weiter nach Rathenow und von da aus in die Show von Maybrit Illner. "Eigentlich eine Zumutung", sagt er, als er auf der Bühne angekommen ist. Es klingt eher stolz als klagend. Als würde es ihm gefallen, dass es ohne ihn nicht geht.

Für seine Linke sieht es in Brandenburg nicht gut aus. Gar nicht gut. Die Partei, die zehn Jahre lang zusammen mit der SPD das Land regiert hat und vor fünf Jahren noch elf Prozent erreichte, könnte an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Die Gründe sind bekannt: Streit über die Ausrichtung, über den Ukrainekrieg, über Sahra Wagenknecht und ihr neues Bündnis. Gysi erwähnt seine ehemalige Genossin nur kurz. Sie habe ihn jahrelang genervt mit ihrer kommunistischen Plattform. "Und jetzt will sie nicht mehr links sein, hat sie gesagt. Dann soll sie es bleiben lassen."

Sie nervt ihn noch immer, so klingt es. Das BSW liegt in den Umfragen bei 13 Prozent. An allen Landstraßen lächelt die BSW-Chefin von den Plakaten wie die Mona Lisa. Eine Frau zwischen lauter Männern, eine, die gar nicht kandidiert. Vor einem Tag ist sie auf dem Potsdamer Luisenplatz vor 1500 Leuten aufgetreten. Zu Gysi in Oranienburg kommen um die hundert, die meisten in seinem Alter. Ein freundlicher Rentnertreff. Dazwischen Studenten von der Linksjugend, die Anti-Bundeswehr-Sticker verteilen, und Jungs aus dem Wohngebiet, die gehört haben, dass es gratis Würste gibt.

Von Michael Kretschmer verraten: Jan Redmann, Spitzenkandidat der CDU in Brandenburg, hofft ...
Von Michael Kretschmer verraten: Jan Redmann, Spitzenkandidat der CDU in Brandenburg, hofft seine Partei wenigstens wieder auf Platz drei zu führen. © Jörg Carstensen/dpa

Wie Linnemann in Kremmen redet auch Gysi nicht über Brandenburg, sondern wettert gegen die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der USA. "Putin hat es ihnen nachgemacht." Jetzt sei es an der Zeit für Friedensverhandlungen. Er gibt Woidke und Scholz eins mit. Wenn es die Linke nicht mehr gebe, seien die beiden die Linkesten. "Ich bitte Sie!", ruft Gysi den Oranienburgern zu.

Zum Schluss erwähnt er Kerstin Kaiser aus Strausberg, die dort viermal für die Linke das Direktmandat holte, sich aber nach Stasivorwürfen aus der Landespolitik zurückzog. Und nun wieder in Strausberg als Direktkandidatin antritt. Wenn sie ihr Direktmandat gewinnt, kann die Linke in den Landtag einziehen, auch wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Die letzte Hoffnung der Linken ist eine Frau.

Dietmar Woidke steht am Ende seines Wahlkampfs noch einmal in der Abendsonne, ohne Jackett, die Hemdsärmel hochgekrempelt. Vor ihm hängen rote SPD-Luftballons in einem Baum wie überreife Kirschen, auf den Tischen liegt "Woidke – das Magazin", eine Wahlkampfbroschüre, die in einer Millionenauflage gedruckt worden sein soll. Der Boxer Henry Maske spricht sich auf dem Cover für Woidke aus.

Unter Woidkes Füßen sind Plaketten mit den Namen der Paare in den Boden eingelassen, die hier geheiratet haben. In der Waldschule in Pausin, einem Dorf, das zu Schönwalde-Glien gehört. Einer Gemeinde im Havelland, deren Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten nicht geschrumpft, sondern stark gewachsen ist, weil sie direkt an Berlin-Spandau grenzt. Es gibt viel Wald, viele neue Einfamilienhäuser, viele Pferdekoppeln. So sieht das Brandenburg aus, von dem Berliner träumen. Viele der neuen Einwohner sind aus West-Berlin zugezogen. "Wir haben sogar einen Laden und einen Arzt", erzählt ein Mann.

Woidke ist schnell bei seinem Kernthema. Er sei "überzeugt, dass wir es schaffen können und auch schaffen müssen", er redet von seinem Opa, der weinte, wenn er vom Zweiten Weltkrieg erzählte, und dessen sorbischer Frau, die deportiert werden sollte. Bei ihm bleibe das Land "in guten Händen", sagt Woidke.

Muss auf das Direktmandat einer Frau hoffen: Sebastian Walter, Spitzenkandidat der Linkspartei ...
Muss auf das Direktmandat einer Frau hoffen: Sebastian Walter, Spitzenkandidat der Linkspartei, die um den Einzug in den Landtag bangt. © Benjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung

Er muss die AfD gar nicht erwähnen, jeder weiß, worum es geht. Und es stimmt ja, Brandenburg steht nicht schlecht da, neben Sachsen hat das Land die höchsten Durchschnittsgehälter im Osten, die Arbeitslosigkeit hier ist so niedrig wie sonst nur in Thüringen. Aber ist das nicht trotzdem viel zu wenig für das Land: ein Wahlkampf, der nur aus Weiter-so und Wir-gegen-die besteht?

Eine Band spielt Hits der 60er und 70er. An einem Tisch sagt ein Mann mit weißem Schopf zu seinem Nachbarn: "Guck dir doch hier alle an, wir sind doch nur Greise!" Er ist seit Jahrzehnten in der SPD, ihn treibt die Frage um, "warum wir die Jugend verloren haben", aber wie seine Partei hat auch er darauf keine Antwort. An einem anderen Tisch sitzen drei Männer, die sich als Einheimische vorstellen. Auf die Frage, ob sie auch in der SPD seien, sagt einer: "Wir sind AfD." Ein Witz! Man lebe gut in Pausin, auch wenn die alten und die neuen Bewohner wenig miteinander zu tun hätten. Wen sie wählen wollen? Schulterzucken. "Ne demokratische Partei, das is klar", sagt einer. Ist Woidke ein guter Ministerpräsident? "Is eigentlich egal, wer regiert", sagt ein anderer. Sonst fällt ihnen nichts zu Woidke ein.

Ein Mann, der für die SPD mal im Landtag saß, zieht dann den Ministerpräsidenten noch mal vor ein Mikrofon, zur Band. Die beiden SPD-Männer singen "Under The Boardwalk" von den Drifters. Einen Hit von 1964. Woidke kann eigentlich nur den Refrain. Er sieht gelöst aus, obwohl der Sommer zu Ende geht. Und vielleicht nicht nur der.

Bald ist der Sommer vorbei: Dietmar Woidke singt mit einem SPD-Genossen am Mittwoch in Pausin ...
Bald ist der Sommer vorbei: Dietmar Woidke singt mit einem SPD-Genossen am Mittwoch in Pausin „Under The Boardwalk“, einen Sommerhit von 1964. © Markus Wächter/Berliner Zeitung

Am Donnerstagabend erscheint noch einmal eine Umfrage. Die AfD liegt noch immer einen Prozentpunkt vor der SPD.

Bleibt die Frage: Wer wird Brandenburg regieren, wenn Woidke am Sonntag abdankt? Die SPD wird als zweitstärkste Kraft hinter der AfD um eine Koalition verhandeln, sie auch anführen, so viel scheint klar. Doch wer wird an der Spitze stehen?

Die Frage spielt merkwürdigerweise keine Rolle auf all den Podien, den Bühnen und Festen. Wenn man Woidke selbst danach fragt, weicht er aus. Die Konkurrenten bohren nicht nach, die Moderatoren der großen Wahlsendung im RBB haben gar nicht erst gefragt.

Aber ab und an hört man doch einen Namen: Katrin Lange. Sie ist Finanz- und Europaministerin in Brandenburg, wie ihr Chef ist sie in der SPD. Sie ist 52, Brandenburgerin, lernte in der DDR noch Hochbaufacharbeiterin mit Abitur, später suchte sie sich einen Job in der Verwaltung. Dort stieg sie schnell auf. Auf ihrer Webseite erwähnt sie ihren Sohn, aber keinen Mann.

An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht. Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen sagte sie der Bild-Zeitung, "bestimmte Leute" aus ihrer Partei sollten sich aus Talkshows künftig besser fernhalten. Die Bild bezog das auf Saskia Esken, die Parteichefin, andere auf Kevin Kühnert. Katrin Lange teilte auf Facebook und Instagram mit, sie habe zwar keine Namen genannt, sei aber "durchaus richtig verstanden worden".

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Am Donnerstagabend macht sie Wahlkampf in Kyritz in der Prignitz. Weit weg von Potsdam. Gemeinsam mit Matthias Platzeck – dem Vorgänger von Dietmar Woidke als Ministerpräsidenten. Am nächsten Tag postet sie Bilder auf den sozialen Medien und schreibt, man habe vor 30 Gästen über die Energiepolitik in der Prignitz diskutiert. Und über den "verheerenden Krieg" in der Ukraine. Platzeck habe recht, wenn er sage, "dass bei allen diskutierten Themen das Schwarz-Weiß-Denken ein Ende haben muss".

Katrin Lange hat, so sieht es kurz vor der Wahl aus, die besten Chancen, Brandenburg demnächst zu regieren. Eine Frau.  © Berliner Zeitung

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